Plötzlich geht es wieder um die banalen Dinge des täglichen Lebens. Und
Peter Kriegs „Septemberweizen“ wird wieder in den Lichtspieltheatern
gespielt.
Peter Krieg widmete das Buch zum Film mit dem Titel „Der Mensch stirbt nicht am Brot allein“ einer Nicola „in der Hoffnung, daß solche Bücher einmal veralten“. Das war 1981.
Knapp 30 Jahre später, im April 2008, titelt der britische New Statesman „How the rich starved the world“ und erklärt das Jahr 2008 zum Jahr der „Food Riots“. Ägypten, Haiti, Kamerun, Jemen, Senegal, die Philippinen, Mosambik, Elfenbeinküste, Indien waren allein heuer Schauplätze gewalttätiger Auseinandersetzungen, die ihren Grund in der schlechten oder schlicht unleistbaren Versorgung mit Grundnahrungsmitteln haben. Argentinien stellte dieser Tage seine Weizenexporte ein. Indien führt nur mehr die teure Sorte Basmati in die reichen Länder aus und verdoppelt die Reispreise binnen Tagen. Vietnam, zweitgrößter Reisexporteur, drosselt seine Ausfuhren um 1/5 und erhöht ebenfalls die Preise.
Als Staatsmann ist nur qualifiziert, wer sich auf die Frage des Weizens versteht. Sokrates
Europäische KonsumentInnen merken bislang „nur“ steigende Preise. Die Gründe dafür werden gleich mitgeliefert. Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel macht die Neureichen Chinas und Indiens dafür verantwortlich. Die trinken uns nämlich jetzt die Milch für die Tasse Kaffee weg und nehmen nun täglich ein zweites Mal Nahrung auf. Andere sind zu etwas komplexerem Denken gewillt und sehen einen Zusammenhang mit Missernten in Europa und Australien auf Grund des Klimawandels oder der völlig irren Strategie, Nahrungsanbauflächen als Treibstoffquellen für den motorisierten Verkehr zu verwenden.
Der New Statesman berichtet, dass die weltweite Ertragssteigerung im Maisanbau zwischen 2004 und 2007 durch die Ethanol-Erzeugung in den USA vernichtet wurde. Prognostiziert wird für nächstes Jahr, dass 1/3 der gesamten Getreide-Produktion der USA nicht für Lebensmittel, sondern für den Antrieb von Kraftfahrzeugen verwendet wird. Nur Bundeskanzlerin Angela Merkel sieht neben erwähnten Veränderungen der Lebensumstände eine verfehlte Agrarpolitik in den Entwicklungsländern.
Der von den Menschen eher nicht akzeptierte Einsatz gentechnisch veränderter Nahrungsmittelpflanzen findet so doch noch seine Anbauflächen. Politisch ungeliebten ölproduzierenden Ländern (Naher Osten, Russland, Venezuela) wird das Treibstoff-Oligopol streitig gemacht. Die marode Immobilienspekulation sucht neue lukrative Betätigungsfelder. Rohstofftitel und hier die so genannten Soft Commodities, die landwirtschaftlichen Rohstoffe, boomen an den wichtigen Börsen. Einen Rohstoffmix bildet der GSCI Agriculture Total Return Index von der Investmentbank Goldman Sachs, der ausschließlich die Preisentwicklung von Agrarrohstoffen abbildet und ein realistisches Bild des Sektors zeichnet.
Zu den Soft Commodities zählen alle zum Verzehr geeigneten agrarischen Erzeugnisse wie Kaffee, Kakao, Zucker, Getreide, Mais, Ölsaaten, Orangensaft-Konzentrat und Fleisch. Globale Handelsplätze befinden sich in Chicago im Board of Trade, in der Londoner Liffe oder der vergleichsweise kleinen Warenterminbörse Hannover.
Wenn der Arme weint, lacht der Bäcker. Spanisches Sprichwort
„Kein Interesse der Investoren? Falsch. Eine der erfolgreichsten Aktien der argentinischen Börse ist der Agrarkonzern Cresud. Das Unternehmen besitzt und bewirtschaftet rund 120.000 Hektar Land. Rendite: rund acht Prozent nach Steuern. Der Immobilienentwickler Michael Kraus sammelt gerade bei finanzkräftigen Österreichern Geld ein, um in einen grossen Agrarbetrieb zu investieren – leider in Rumänien. Sein stärkstes Verkaufsargument: die Hausse in der Landwirtschaft“, schreibt Arne Johannsen im österreichischen Wirtschaftsblatt.
Und nicht zuletzt erhält die global einseitige Verteilung von Grund und Boden eine geopolitische Rechtfertigung: Kleinbauern würden eher für den eigenen Bedarf produzieren. Dachte Frau Merkel gar an Brasilien, als sie laut das selbstverschuldete Unglück der Entwicklungsländer mitverantwortlich an den Hungerunruhen machte?
Der Reiche benutzte lieber Unfreie als Freie zum Kulitvieren des Bodens, von dem er die Bürger vertrieben hatte. Plutarch, 1. Jhdt. nach unserer Zeitrechnung
Brasilien ist einer der großen Player bei der Produktion von Ölsaaten (Sojabohnen) und hat große Erfahrungen mit der Treibstoff-Produktion aus Zuckerrohr. Und Brasilien ist mit an der Spitze, wenn es um Verteilungsungerechtigkeit geht. 46 % der gesamten Fläche Brasiliens werden von 1 % der Bevölkerung besessen. Die brasilianische Volkswirtschaft zählt zu den größten der Welt, und Sklaverei ist in der Provinz besonders bei den Nachfahren der verschleppten AfrikanerInnen, den Quilombolas, immer noch der Fall.
Patrus Ananias, Brasiliens Minister für soziale Entwicklung und den Kampf gegen den Hunger, verteidigt in einem Interview mit dem Standard die Ausrichtung der brasilianischen Agrarpolitik: „Es gibt Investitionen in Fleisch, aber auch in Soja und Mais. Eine Konkurrenz ist durch gute Normen und die großen Anbauflächen ausgeschlossen.“
Große Anbauflächen werden zur Zeit in dem großen Trockengebiet im Nordosten Brasiliens, dem Sertão, erschlossen. Der Rio São Francisco wird mit aufwändigen Umleitungen, Stauseen und Pumpanlagen „verbessert“. Die Regierung Lula erhofft sich davon eine bessere Wasserversorgung der Bevölkerung und der exportorientierten Landwirtschaft. Die lokale Bevölkerung erwartet indes nichts Gutes und formierte sich in einer breitangelegten Widerstandsbewegung: Der Bewegung der Landlosen (MST), der Bewegung der Umleitungsbetroffenen (MAB), der Bewegung der Kleinbauern (MPA), der Pastoralen Landkommission (CPT), der Pastoralen Fischer Kommission (CPP) gemeinsam mit Fischergemeinden und Indigenen.
Das Polaris-Institut, dessen Ziel die Verteilungsgerechtigkeit von Wasser ist, kritisiert, dass mit diesem Mega-Projekt lediglich die regierenden brasilianischen Eliten bedient werden, die Interessen der Großgrundbesitzer gestärkt würden.
Notwendig wäre aber eine Demokratisierung der Wasserresourcen. Da sogar die Weltbank Kredite für dieses Projekt verweigerte, werden die Investitionskosten von 2,4 Milliarden Euro auf die Bevölkerung abgewälzt. Geschätzt wird, dass sich dadurch die Wassergebühren verfünfachen werden.
Anlässlich des diesjährigen „Tages der Landlosen“, das im Gedenken der Opfer eines Massakers erinnert, bei dem Polizisten am 17. April 1996 nahe der Stadt Eldorado dos Carajas im Bundesstaat Para 19 AktivistInnen des MST erschossen haben, besetzten 850 Familien ein Wasserkraftwerk im nördlichen Bundesstaat Sergipe. Ihre Forderung: Bewässerungsprojekte wieder aufzunehmen, die vor einem Jahrzehnt ausgesetzt worden waren. Das „Projeto de Transposição“, das Projekt der Ableitung von Wasser aus dem Rio São Francisco lässt Ähnliches befürchten: Shrimps-Produktion für den Export und Agrotreibstoffe für den Otto-Motor.
Die Verteilung von Land auf der Welt wird in der Diskussion um die gegenwärtige Nahrungsmittelkrise völlig ausgeblendet.
Ginge es tatsächlich um so wichtige Ziele wie Reduktion des CO2-Ausstoßes, wäre es wahrscheinlich ein guter Ansatz, den Anteil der militärischen Komplexe zu analysieren. Und da hätte Bundeskanzlerin Merkel Recht, wenn sie es gesagt hätte, dass auch die Entwicklungs- und Schwellenländer einigen Optimierungsbedarf haben.
Links & Anmerkungen
http://www.ewl-hueckelhoven.de/ Eine-Welt-Laden Hückelhoven – AktivistInnen-Seite zum Projekt Rio São Francisco
http://www.polarisinstitute.org – Webseite des Polaris Institus (engl.)
http://www.mst.org.br/ – Webseite der Bewegung der Landlosen Brasiliens (bras.)
Die Zwischenzitate wurden dem Buch DER MENSCH STIRBT NICHT AM BROT ALLEIN, Lesebuch zum Film Septemberweizen von Peter Krieg entnommen.