Wenn der starke Staat ist schlank.
Nach Göran Therborn, Soziologe an der Cambridge University, gibt es wenigstens drei vollkommen unterschiedliche Gründe für Ungleichheit:
- Die Ungleichheit von Gesundheit und Tod, die vitale Ungleichheit. Kindersterblichkeit im Norden und in den Ländern des Südens. Die Lebenserwartung von Menschen mit hohem sozialem Status und Menschen mit niedrigem. Vitale Ungleichheit kann leicht gemessen werden an Hand von Statistiken über Lebenserwartung und Überlebensraten.
- Existenzielle Ungleichheit: diese betrifft das Individuum persönlich. Diese Ungleichheit schränkt die Handlungsfelder bestimmter Personen, z. B. von Frauen in öffentlichen Räumen.ein. Sie bedeutet Mangel oder Fehlen von Respekt und Anerkennung, z. B. von Frauen in patriacharchalen Gesellschaften, indigenen Gruppen in den Amerikas, armen ImmigrantInnen, schwarzen und farbigen Menschen. Inexistenzielle Ungleichheit tritt nicht zwingend offen auf, sondern wirkt effizient durch die Herausbildung subtiler sozialer Hierarchien.
- Die dritte Form der Ungleichheit ist die der materiellen oder Ressourcen-Ungleichheit. Sie tritt dann auf, wenn menschliche AkteurInnen sehr unterschiedliche Ressourcen zur Verfügung haben. Zwei Aspekte verdienen dabei Beachtung: Der Zugang zu Bildung, zu Berufskarrieren, zu sozialen Kontakten, dem sozialen Kapital, das auch als Chancen-Ungleichheit bezeichnet wird. Der zweite Aspekt ist die Ungleichheit der Belohnung oder Erfolgs-Ungleichheit. Sie ist ein häufig verwendeter Parameter zur Messung von Ungleichheit: die Verteilung von Einkommen, manchmal auch die Vermögensverteilung.
Ungleichheit ist nicht natürlich, sie wird geschaffen
Durch Ausschluss: Barrieren werden errichtet, die bestimmten Menschen den Zugang zu einem guten Leben erschweren oder unmöglich machen.
Durch hierachische Institutionen: Gesellschaften und Organisationen werden stufenartig gebildet, manche Personen stehen oben, manche unten.
Durch Ausbeutung: soll heißen, die Reichtümer der Reichen sind die Ergebnisse der Anstrengungen und der Unterwerfung der Armen und Benachteiligten.
Durch Distanzierung: charakterisiert, dass Manche enteilen und Andere ins Hintertreffen geraten.
Im Verlauf des 20. Jahrhunderts fand eine substanzielle Einebnung der Einkommensunterschiede in den meisten westlichen Staaten statt, gleichzeitig vergrößerten sich aber die Unterschiede in der Lebenserwartung, besonders bei Männern. 1910 bis 1912 war das Risiko für Hilfsarbeiter in England oder Wales, zwischen 20 und 44 Jahren zu sterben, um 61 Prozent höher als das eines ausgebildeten Mannes. 1991 bis 1993 betrug dieses Risiko eines frühen Erwachsenentods für Hilfsarbeiter 186 Prozent. Der britische Epidemologe Michael Marmot erhob in einer Studie mit einem 25jährigen Beobachtungszeitraum, dass das Risiko, an Herzkrankheiten zu sterben, bei denen am unteren Ende einer Organisations-Hierarchie um 50 Prozent höher ist als bei denen an der Spitze der Hierarchie.
Im letzten Jahrhundert verringerten sich die Barrieren. Frauen wurden weniger vom Zugang zu öffentlichen Räumen, Arbeitsmarkt und Karrierechancen ausgeschlossen. Rassismus war weitgehend verpönt. Die gegen Ende des 20. Jahrhunderts auftretende Massenmigration, wie schon im gegen Ende des 19. Jahrhunderts, war von mehr Einbindung gekennzeichnet.
Ehemalige kolonisierte Staaten errangen ihre staatliche Souveränität und damit die Chance auf Entwicklung und Wachstum.
Wenn auch der Ausschluss Anderer geringer als zuvor wurde, blieb er ein Hauptwesensmerkmal der gegenwärtigen Welt, nicht zuletzt, weil sie in exklusive Nationalstaaten aufgeteilt wurde, mit exklusiven Rechten für die jeweiligen StaatsbürgerInnen. Auch andere Ausschließungsstragien, wie z. B. staatlicher Protektionismus, werden angewendet. Der Schutz der US-amerikanischen Baumwollproduktion traf ärmere Subsahara-Staaten hart.
Das Paradoxon der Distanz
Das letzte Instrument von Ungleichheit, die Distanzierung, ist der subtilste von allen: Der Mechanismus der moralischen und politischen Fixierung. Ein Paradoxon der Zeit: Während bei Reisen und in der Technologie Distanzen immer kleiner werden, werden sie beim Einkommen und sozialen Indikatoren weltweit, aber auch innerhalb der Länder größer.
In der ersten Hälte der 1970er-Jahre war die Lebenserwartung in den reichen Ländern 25,5 Jahre höher als in den Ländern der Sub-Sahara. Anfang 2000 war sie in den wohlhabenden Ländern um 30 Jahre höher. In Großbritannien stieg die Lebenserwartung der Reichen seit 1980 um sechs Wochen jährlich. Im schottischen Glasgow beträgt der Unterschied in der Lebenserwartung in der männlichen Bevölkerung in den Stadtteilen Calton und Lenzie 28 Jahre. Der Unterschied ist also größer als zwischen Großbritannien und Afrika in den 70er-Jahren des vorigen Jahrhunderts. In Russland und verschiedenen anderen post-sowjetischen Staaten und im Kaukasus sinkt die Lebenserwartung ebenfalls. Im heutigen kapitalistischen Russland ist die Lebenserwartung von Männern um 17 Jahre niedriger als in Kuba. Michael Marmot schätzt, dass die Transformation der Sowjetunion in ein kapitalistisches System 4 Millionen Menschen das Leben kostete.
Das Bruttosozialprodukt pro Kopf betrug 1973 in den Staaten der Subsahara 8 Prozent der USA, gemessen an der lokalen Kaufkraft. Sie verringerte sich auf 5 Prozent. Innerhalb der USA verdiente das reichste 1-Prozent 8 Prozent des gesamten Haushaltseinkommens. Im Jahr 2000 erreichte der Wert bereits 17 Prozent. In Großbritannien erwirtschafteten sie 6 Prozent und 20 Jahre später 12,5 Prozent. Im reichsten Land der Erde, den USA, haben die ärmsten zehn Prozent der Bevölkerung ein geringeres Einkommen als die ärmsten zehn Prozent in Griechenland.
Die Einkommensunterschiede zwischen den Reichsten und den Angehörigen des Mittelstandes sind nun größer als in den prä-modernen Zeiten, schreibt der Soziologe Göran Therborn.
Die neue Piraterie auf den Weltmeeren. Kidnapping von Managern. Und jetzt neu: Der organisierte Mundraub in Supermärkten.
Die Profiteure dieses Systems preisen weiter ihr verrottetes Produkt. Der starke Staat ist schlank usw. usf.(FDP-Politiker Guido Westerwelle am 8.4.2009)
Währenddessen frisst die neoliberale Revolution ihre Kinder. Im März 2008 besassen 1.125 Milliardäre 4,4 Billionen Dollar. Ein Jahr später besaßen „nur“ mehr 793 Milliardäre „nur“ mehr 2,4 Billionen Dollar.
Quelle:
http://www.opendemocracy.net/article/the-killing-fields-of-inequality