Heroisch in die neue Zeit! Wer sich’s leisten kann, überlegt, den Gürtel enger zu schnallen.
In diesen Zeiten, wo man ständig die verstaubtesten Bücher seiner Bibliothek hervorkramt, lohnt es sich bei Pier Paolo Pasolini nachzuschlagen: „Doch als Vorzeichen einer Rückkehr zu echter Armut kann sie mich nur freuen. Ich sage Armut, nicht Elend“, heißt es da. „Selbstverständlich bin ich selbst zu jedem persönlichen Opfer bereit.“ Das Erstaunlichste an dem Satz ist vielleicht, dass man plötzlich etwas mit ihm anfangen kann. Ebenso wie mit dem Gedanken, dass nicht Konsum, sondern Glück ein erstrebenswertes Ideal sei. Aber da die Armut durch die Austerity-Politik eine obligatorische, und der Glaube, dass Armut etwas Schlimmes sei, eine Täuschung ist, sieht Pasolini die Notwendigkeit festzuhalten, dass der Gehalt dieser Behauptung reaktionär ist, und eine derartige linke Position nur schwierig zu definieren ist.
Wenn man bedenkt, dass die Wertzerstörung, die im Gange ist, nicht bedeutet, dass die alten Werte sofort durch neue Werte ersetzt werden können, mit ihren ganzen Vor- und Nachteilen, mit einem wirklich kulturellen Fortschritt, dann liest man gerne weiter. Etwa dass dazwischen sich alles in einem Moment eines Schwebezustands befindet, und wir uns in genau dieser Phase befinden, und darin die große, tragische Gefahr besteht. „Denkt daran, was eine Wirtschaftskrise unter diese Voraussetzungen bedeuten kann und zieht einmal ganz kurz eine Parallele zum Deutschland der dreißiger Jahre. Wenn ich sehe, wie die jungen Leute uralte volkstümliche Werte verlieren und neue annehmen, die ihnen der Kapitalismus diktiert, und wie sie dabei zunehmend Gefahr laufen, einer Art Unmenschlichkeit, einer erschreckenden Sprachlosigkeit und brutalen Kritiklosigkeit zum Opfer zu fallen, passiv und zugleich rebellisch zu werden, so kommen mir die SS-Männer in den Sinn, die genau so waren.“
Wenn man bedenkt, wohin in Italien die damaligen Auseinandersetzungen zwischen der KP und den ChristdemokratInnen, eingekeilt zwischen linksextremem und faschistischem Terror geführt haben, liest man gerne weiter. Etwa dass ihm als Entschädigung für den selbstauferlegten Verzicht das alte Lächeln in den Gesichtern der Leute genügte, der alte Respekt vor dem Andern, der auch Selbstrespekt war, der Stolz, das zu sein, was die eigene „arme“ Kultur zu sein lehrte. „Dann wird man vielleicht einen neuen Anfang machen können.“
In der Gegnerschaft zum kapitalistischen Exzess der letzten Jahrzehnte könnte Pasolinis Kritik so ein linguistisches Ziel zuwachsen. Sie könnte zu utopischen Praktiken führen mit etwas mehr Sexappeal als Mülltrennung und Sparlampen:
„In dieser Situation begann ich auf einmal – nach über dreißig Jahren – wieder im friaulischen Dialekt zu schreiben.“
Verwendete Texte:
Isolde Charim, Der Standard, 11., 12., 13. April 2009
Pier Paolo Pasolini, Freibeuterschriften, Die Zerstörung der Kultur des Einzelnen durch die Konsumgesellschaft, Verlag Wagenbach, 1979