Die tödliche Wendung, die einige militante Ökotopianer_innen diesem allgemein akzeptierten Gedankengang gaben, war die Propagierung des Standpunktes, dass eine ökonomische Katastrophe nicht gleichbedeutend sei mit einer biologischen Katastrophe im Sinne persönlichen Überlebens – und dass insbesondere eine Panik auf dem Finanzsektor sogar zum Guten gewendet werden könne, wenn die neue Nation ihre vorhandenen Ressourcen an Energie, Wissen, Können und Materialien entsprechend den grundlegenden Forderungen eines nationalen Überlebens organisiere. Unter dieser Voraussetzung könne sich sogar ein katastrophaler Abfall des Bruttosozialprodukts (das ihrer Meinung nach ohnehin zu großen Teilen aus überflüssiger Arbeit resultierte) als politisch nützlich erweisen.
Kurz gesagt, das finanzielle Chaos sollte nicht nur in Kauf genommen, sondern bewusst herbei geführt werden. Im Zuge der einsetzenden Kapitalflucht sollten die meisten Fabriken, Farmen und andren Produktionsmittel Ökotopia in den Schoß fallen wie reife Früchte.
Und es genügten tatsächlich schon wenige einschneidende Maßnahmen, um diese unheilvolle Ereignisfolge in Gang zu setzen: die Verstaatlichung der Landwirtschaft, die Ankündigung eines bevorstehenden Moratoriums zu den Aktivitäten der Ölindustrie, der erzwungene Zusammenschluss des Einzelhandelsnetzes (Sears, Penneys, Safeway und einige andere Ladenketten) und das Inkrafttreten strenger Naturschutzgesetze.
1975 erschien Ernest Callenbachs Roman Ökotopia – Notizen und Reportagen von William Weston aus dem Jahre 1999.
Bei allen Seltsamkeiten, die der Ideenwelt Callenbachs innewohnen, ist doch und vor allem auffallend, dass er damals, ausgehend von einer krisenhaften Situation das Bild einer Gesellschaft beschrieb, die sich selbst organierte, bereit war zu lernen und mehrere Schritte in Richtung Zukunft wagte, sehr, sehr nah an unserer Jetzt-Zeit war. Décroissance! lautet der Imperativ Anfang des 3. Jahrtausends nach unserer Zeitrechnung. Gegen Ende des 2. Jahrtausends nannte der Mainstream sie Aussteiger_innen und verband damit nicht tatsächliche Aussteiger_innen wie Bettler_innen, Adressenlose oder Wegelager_innen, sondern Menschen, die im Grunde das gleiche wie alle anderen machten, nur ein bisschen anders. Heute kennen alle Grüne Erde.
Salon.com veröffentlichte Anfang Mai 2012 die „letzten Worte“ Callenbachs. Und Callenbach zieht dabei in knappen Worten Bilanz über seine 80 Jahre Amerika. Von den raubritternden Kapitalist_innen, die die U.S.-Wirtschaftsmacht begründeten, bis zum sich abzeichnenden Niedergang eines Empires.
Callenbach revidiert in seinem Vermächtnis eine Hauptthese seines Romans Ökotopia, nämlich die des privaten Glücks und sei es das private Glück einer großen, sezessionistischen Nation. Die Welt sei zu vernetzt, Klimakatastrophen machen vor nationalen Grenzen keinen Halt und soziale Ungerechtigkeit wird zur von Politiker_innen willfährig unterstützten Methode einer plündernden Elite.
Am Ende seines Lebens hatte Callenbach nicht mehr viel Optimismus. Die dominierende selbstzerstörende Maschine, die in Form eines hegemonialen Consumer Capitalism die Welt beherrscht, wird noch lange Zeit nicht abtreten. Dafür wird ein aufgeblähter Überwachungs- und Un-Sicherheitskomplex sorgen, der die verarmten und ungebildeten Massen niederhält.
Aber wie damals, 1975 in Ökotopia, findet sich in Ernest Callenbachs letzten Tagen eine Überzeugung wieder: Verfall und Niedergang sind keine Katastrophe. Lasst uns den Verfall umarmen, denn er ist die Quelle für neues Leben und Prosperität.
Vielleicht kann ich dabei helfen. (William Weston, letzter Satz in Ökotopia)
Link:
http://www.salon.com/writer/ernest_callenbach/
Tipp:
Ernest Callenbach, Ecotopia, 1975, Bantam Books, N.Y, Ökotopia, 1978, Rotbuchverlag, Berlin – Suchen Sie in Ihrer öffentlichen Bibliothek.