Der geplatzte Traum der Eurozone ebnet den Weg in viele neue Blasen. Rohstoffblasen, Nahrungsmittelblasen, Bitcoinblasen oder Immobilienblasen, Organhandelblasen, Blasenblasen.
Wien kennt nicht Barcelona. Und so probiert man es in dieser reichlich naiven Stadt mit einer Immobilienblase. Einer so großen, dass das Prophezeiungsunternehmen Standard & Arme davor warnt.
Laut Der Standard warnt S&P: „Zudem bergen die stark gestiegenen Immobilienpreise in Wien und anderen Teilen Österreichs die Gefahr, dass dieser Boom zur Blase wird – wieder gefolgt von der Gefahr von Kreditausfällen. Mit Spanien lässt sich dieses Spekulationsrisiko aber nicht vergleichen, gibt man sofort Entwarnung. „Anders als in Spanien sei der Boom in Österreich aber nicht kreditgetrieben. Vielmehr hätten Anleger Gelder umgeschichtet.“
Das freut das globlokale Risikokapital. Der systemische Analyst* kennt eben nur einen Akteur*: Den Anleger*. Der schichtet Anleihen, Aktien, Fonds in unbewegliche Güter um – und es hat ein gutes Ende. Dieses System kennt keine Wohnungskäufer_innen, keine Mieter_innen und keine gröberen Konflikte, die dieses einfaktorielle System zum Einsturz bringen können. Es nimmt nicht einmal naheliegende Politik oder den sogenannten Wähler_innwillen zur Kenntnis.
Eine Immosteuer in Wien ante portas?
Noch nicht. Wien kann zwar auf exzellente Erfahrungen mit der Breitner-Steuer verweisen, dass seitens der Stadtpolitik sich Proponent_innen auf diese Best Practises berufen, ist bislang nicht auszumachen.
Wien baut auf seine 1,7 Millionen Menschengehirne und auf seine geliebten, schätzungsweise 3,4 Millionen Hundegehirne, die die Stadt klug und gut machen. Deshalb entdeckte Wien auch für sich den Freiraum, wie eine Amtliche Mitteilung belegt. Die Mariahilferstraße, die Wiener Einkaufsstraße, bekannt aus DKT und oder Monopoly?, wird mittels eines ausgeklügelten Einbahn-, Sackstraßen- und Fußgängersystems zum Freiraum, verkündet die Amtliche Mitteilung.
Dass erfreut die kleine Freiraum-Aktivist_innenszene der Stadt und schreckt noch keine potenziellen Investor_innen ab. So harmonisch kann nur Wien sein.
Wien kann noch mehr. Wien ist auch und vor allem Kultur.
Wo Wien nicht Baukultur ist, zitiert es Baukultur. Wo das architektonische Zitat nicht hinlangt, tut es auch ein architekurliterarisches, wie das Foto am Anfang illustriert.
Wien schöpft. Schöpft aus versandelndem Finanzkapital und aus dem Fundus eines Architekten wie Gottfried Semper, der in einer seiner Schaffensphasen die Stadt als einen Ort des Widerstands, der urbanen Aufstände begriff, wie seine Arbeiten zum Barrikadenbau belegen.
Die Stadt als Widerstandsort
Eric Hobsbawm, der 2003 mit der Ehrenmedaille der Bundeshauptstadt Wien in Gold ausgezeichnet wurde, skizzierte in dem 1977 erschienen Buch Städte und Aufstände, welche städtebaulichen und sozialen Voraussetzungen für eine Revolte und den zündenden Funken der Revolution gegeben sein müssen.
„Nach Hobsbawm sollten folgende Kriterien erfüllt sein, um Aufstände zu begünstigen: Eine Stadt sollte dicht besiedelt, aber nicht zu großflächig verstreut sein. […] Der Sitz der Herrschenden sollte sich im Zentrum befinden und nicht außerhalb der Stadt oder am Stadtrand, da deren Sitz als symbolisches Protestziel der Staatsmacht somit besser fassbar wäre und militärisch nicht so gut abgeschirmt werden könne. […]. Die Stadt sollte von keinem großen Fluss in der Mitte geteilt werden, da Brücken leicht militärisch besetzt werden können, um die revoltierende Bevölkerung im Fall des Falles daran zu hindern, rasch in einen anderen Stadtteil zu wechseln bzw. sich gegenseitig Beistand zu leisten. Massentransportmittel sollten ausreichend vorhanden sein, um Arbeiter_innen und die subalternen Bevölkerungsschichten, also die „gefährlichen Klassen“ aus den Vororten schnell ins Zentrum des Geschehens bringen zu können. Außerdem können diese Transportmittel (in erster Linie Straßenbahnen) bei Bedarf umgeworfen und angezündet werden, um damit Barrikaden zu errichten. Zudem seien Universitäten im Stadtzentrum immer gefährliche Ausgangspunkte für Unruhen, während Universitäten, die weit außerhalb der eigentlichen Stadt errichtet werden, für Unruhen keinen günstigen Einfluss hätten.“ (Rainer Hackauf, Quelle: kulturrisse.at)
Dummheit oder Absicht? Wien entfernt sich von Hobsbawms Kriterien immer weiter. Die Stadt wird ausschließlich über die Donau erweitert (Seestadt Aspern), die Unis wandern in Richtung Peripherien, obwohl exorbitant teuer, wird der U-Bahnausbau gegenüber dem Straßenbahnausbau prioritär behandelt, die subalternen Bevölkerungsschichten werden zunehmend in mit öffentlichen Verkehrsmitteln schlechter erschlossenen und vom Zentrum weiter entferntere Stadtteile (Teile Meidlings, Liesings, Favoriten, Simmering) abgedrängt.
Großflächige und großräumliche Zerstörungen sind nicht zwingend mit sozialen und/oder militärischen Unruhen verbunden. Die Bevölkerung wird aber von diesen Zerstörungsprozessen tunlichst ferngehalten. Eines Tages steht der Abbruchtrupp vor dem Haustor und tut, wofür er engagiert wurde. Die Abrissbirne macht kurzen Stadtentwicklungsprozess. Ein Bürger_innenbeteiligungsverfahren, die demokratische Innovation des Jahres? Fehlanzeige. Macht Platz für Reiche, titelte die konservative Frankfurter Allgemeine Zeitung über ähnlich ablaufende Entwicklungen in Frankfurt: Wohnraum in attraktiven Quartieren nur mehr für die, die es sich leisten können. Doch selbst die FAZ verweist auf zivile und kommunalpolitische Widerstandsmöglichkeiten. Die Hamburger „Soziale Erhaltungsverordnung“ etwa, die punktuell dem Spekulationskapital Einhalt gebieten soll.
Die Stadt gehört dem Kapital. Wem es nicht passt, der kann ja rübergehen: wahlweise nach Süden, Westen, Osten, Norden. Dort wo der Speckgürtel zu Hause ist, der mit seinen Pendler_innen-SUVs, den motorisierten Zeugnissen einer militarisierten Zivilgesellschaft, die Stadt okkupiert.
Arbitrary.