Wenn der Räumung der Pizzeria Anarchia etwas Positives abgewonnen werden soll, dann sind es die Tatsachen eines surrealen Polizeieinsatzes und der geglückten politischen Agendasetzung:
Wem gehört die Stadt und wer diktiert die Rahmenbedingungen unter denen die Menschen in ihr leben können?
Der Mythos des Roten Wien, das vor allem durch seine klassenkämpferische, teils subversive (klandestiner Grundstückserwerb) und paternalistische Wohnpolitik genährt wurde, ist längst verblasst. Die Wiener SPÖ, die durchaus zu einer Protagonistin des Tony Blairschen Dritten Wegs hinzugerechnet werden kann, kam bislang bloß deswegen mit einem hellblauen Auge davon, weil sie ihre bürokratische Expertise zu einem Ideologiesurrogat erhob.
In einer Stadt, in der Friedhofsruhe und Lethargie zu den sozialen Errungenschaften gezählt und als Grundlage für ihre Lebensqualität angesehen werden, ist eine nahezu perfekte Verwaltung nämlich nicht nichts.
Doch Wien nähert sich in großen Schritten dem europäischen Normalzustand. Rechtsradikalismus, wachsende Wohnungs- und Arbeitslosigkeit rücken die Folgen der europäischen Krisen tagtäglich in den Horizont der Stadtbewohner_innen. Der kommunale Wohnbau wurde schon vor Jahren gestoppt, das Mietrecht durch eine extrem rechtr Regierung der Besitzenden in seiner Substanz ausgehöhlt. Wohnungssuchende sind der Willkür von Makler_innnen ausgeliefert. Und die Willkür findet auch dann kein Ende, wenn die Vermieter_innen gerade wollen.
Darüber können die ehemaligen Bewohner_innen der Mühlfeldgasse 12 im 2. Wiener Gemeindebezirk abendfüllende Geschichten erzählen. Eine Mietpartei (eine Frau und ihr Sohn) blieben bemerkenswert stur und leben nach wie vor dort, in dem besetzten Haus, das als Pizzeria Anarchia europaweit Aufsehen erregte.
Die kuriose Geschichte der Pizzeria Anarchia können detailliert und spannend auf ihrem Blog nachgelesen werden. Der Lauf der Geschichte begann vor drei Jahren, als vor der Pankahyttn in Rudolfscrime-5Haus einigen Punks* von wildfremden Menschen kostenloser Wohnraum angeboten wurde.
Eben jene Pankahyttn verfasste ein Grundsatz-Papier zu den Themen Recht auf Stadt, kommunale Wohnpolitik und politischen Aneignungen wie Squatting.
Dieser Ansatz macht das Papier einzigartig in der trostlosen Wüste von repressionsgeladenen Law & Order-Fanatiker_innen und sozialreformerischen Biobiederschlaumeier_innen.
Der Text wurde beim Antifaschistischen Grätzlfest Anfang Juli präsentiert und heute im Netz publik gemacht. Hier der Wortlaut:
Positionspapier zum Thema Boden
Es ist eine bodenlose Frechheit, dass Menschen aufgrund ihres Bedürfnisses zu wohnen ausgebeutet werden. Im Gegensatz zu Betriebskosten und Reparaturkostenrücklage ist Miete kein Leistungsentgelt. Sie muss auch bezahlt werden, wenn die Errichtungskosten längst abgegolten sind. Mieteinnahmen und Bodenzins sind Einkommen auf erpresserischer Grundlage.
Wohnen müssen alle und der Platz dafür ist begrenzt. Obdachlosigkeit wird nicht nur in Kauf genommen, sie ist eine Zwangsandrohung zur Durchsetzung der herrschenden Verhältnisse. Profite lassen sich nicht durch gerechte Verteilung erzielen, sondern nur durch Vorenthaltung und Entrechtung.Wir fordern die Einführung unbefristeter Hauptmietverträge auf Betriebskostenbasis!
Mietfreies Wohnen für Alle!Der lmmobilienmarkt richtet sich prinzipiell gegen die Lebensinteressen der Menschen. Stadtteilaufwertung, Bauprojekte und neue Mietverträge bringen höhere Mieten. Reich wird die Spekulantlnnensau.
Wenn legale Mittel nicht ausreichen wird auch mit kriminellen Methoden vorgegangen um Mieterlnnen auszunehmen oder loszuwerden.
Trotz der vermieterInnenfreundlichen Gesetze ist es alltäglich, dass Mieten verlangt werden, die den legalen Rahmen übersteigen. Das zuviel Bezahlte kann mühevoll zurückgeklagt werden. Es gibt aber keine Grundlage um die VermieterInnen zu sanktionieren oder an dieser Form gewerbsmäßigen Betrugs zu hindern.
Wir fordern die Enteignung von ImmobilienbesitzerInnen, die sich über die Gesetze hinwegsetzen.Vergesellschaftung ist der beste Mieterlnnenschutz!
Die SP Wien, sprich die Gemeinde ist aktiv daran beteiligt, das Mietniveau in immer unerträglichere Höhen zu treiben.
Mit dem Stopp der Errichtung von Gemeindewohnungen Mitte der 80er Jahre, der darauf folgenden Verschwendung der Wohnbausteuer als Subventionstopf für Spekulantlnnen und weiteren Gefälligkeiten für die Immobilien- und SpekulantInnenlobby ist die Gemeinde für die immer weiter steigenden Mieten voll verantwortlich.
Hätte nicht die Gemeinde Wien ab dem ersten Weltkrieg den grössten Teil der Verantwortung für den Wohnbau übernommen, wären die Mieten hier auf einem ähnlichen Niveau wie in London oder Paris. Wohnen wäre für die meisten Menschen nicht mehr mögIich.Wir fordern die SP Wien auf, sich ihrer früheren Werte zu besinnen
und Wohnen wieder leistbar zu machen!
Wir fordern die sofortige Einführung mietfreien Wohnens im Gemeindebau!
Wir fordern die Wiederaufnahme
des kommunalen Wohnbaus!Her mit dem Besetzungsparagraphen!Die Mieten steigen ins Unermessliche, die Pizzeria Anarchia, ein alternatives Projekt in der Mühlfeldgasse 12 im 2. Wiener Gemeindebezirk, wird geräumt …
Gleichzeitig baut die Stadt Wien gerade eine “Agentur für Zwischennutzung” auf. Diese soll leerstehende (in erster Linie gemeindeeigene) Räumlichkeiten an Personen, Initiativen oder Unternehmen weitervermitteln. Eine bewusst handlungsunfähig gehaltene Behörde soll versuchen dem immer größer werdenden Bedarf an frei gestaltbaren Räumen und der immer stärker werdenden BesetzerInnenbewegung etwas entgegenzustellen. Wer es schafft, die Auflagen zu erfüllen, darf hoffen, erst nach Ablauf der Zwischennutzungsfrist kriminalisiert zu werden. Dass das als lächerlich und zum Scheitern verurteilt bezeichnet werden muss, sowie an unser aller Bedürfnisse vorbeigeht, versteht sich von selbst.
Wohnen, Räume gestalten oder Projekte entwickeln setzt voraus, dass die Nutzerinnen Rechtssicherheit haben und selbst entscheiden können wann sie gehen. Dem steht das von der Stadt angestrebte Zwischennutzungskonzept entgegen, welches nur sicherstellt, dass Projekte jederzeit abgedreht werden können. Sprich ambitionierte Projekte renovieren die Bruchbuden gratis, um später finanzkräftigeren Unternehmen Platz machen zu müssen.
Diese Form der Zwischennutzung dient lediglich der Stadtbildpflege, Stadtteilaufwertung und Mieterhöhung. SOHO total!Häuser und Wohnungen stehen leer um den SpekulantInnen ihre Profite zu sichern. Wir sehen Hausbesetzungen nicht nur als Protestform, sondern auch als Mittel im Kampf gegen Vorenthaltung und gewaltsame Zerstörung notwendigen
Lebensraums. Wohnungen, Häuser und Grundstücke die leerstehen, müssen zu Wohnzwecken sowie für unkommerzieIle, nicht-profitorientierte Projekte unkompliziert und unbefristet genutzt werden können, unabhängig vom rechtlichen Status der NutzerInnen.Wir fordern eine Meldepflicht leerstehender Immobilien
an ein öffentlich einsehbares Verzeichnis.
Wir fordern die SP Wien auf, ihre Verantwortung endlich wahrzunehmen.
Alternative und autonome Lebensformen brauchen Raum.
Nur so kann dem rechtsradikalen Mainstream etwas entgegengestellt werden!
Wir fordern das Nutzungsrecht für leerstehende Häuser, Wohnungen und Grundstücke!
Wir fordern den Besetzungsparagraphen!
– und weiters, dass mal die reichen AusbeuterInnen was zum Gemeinwohl beitragen müssen,
damit nicht immer nur wir alle mittels Lügen wie Profitrate und Wirtschaftsstandort
dazu gezwungen werden, uns für sie zu Tode zu schinden!Es muss klar sein, dass diese Forderungen nur erste Verbesserungen der Lebensbedingungen der Menschen sein können. Eine wirkliche Lösung kann nur die Abschaffung von Privateigentum an Boden und Produktionsmitteln sein.
Diese Gesellschaft ist reich genug, um allen hier lebenden Menschen ein würdiges Dasein zuzugestehen. Es ist an der Zeit, gemeinsam und stark aufzutreten, um eine grundlegende Neugestaltung der Gesellschaft durchzusetzen. Unsere Stärke Iiegt in der Vielfältigkeit der Kämpfe, die solidarisch miteinander verbunden sind!Pankahyttn, Juli 2014
Pankahyttn, 15., Johnstr.45
www.pankahyttn.at
There’ll be no justice There ‚ll be no peace!
Punks* are not dead. They’re still fuckin‘ political.