[Update 2015-09-01]
Die österreichische Innenministerin (Anm.: Name austauschbar) zeigt sich „nicht überrascht„. Sie spricht nicht über das Wetter, die Klimaerwärmung ihre Ursachen und Folgen. Ist auch nicht ihre Zuständigkeit. Sie spricht nicht über die von der Troika verursachten sozialen Katastrophen in Griechenland, die immer mehr Refugees in diesem Land schon wieder zur Flucht aus existenzbedrohlichen Umständen zwingt. Die Innenministerin spricht auch nicht über die imperialen Kriege im Nahen und Mittlern Osten, die desaströsen Folgen der Klimakatastrophe in der Sahelzone. Das wäre auch zu komplex für ein kleinkariertes Land.
Die ÖVP gelobte in den 1990er-Jahren den Staat wie ein Unternehmen zu führen. Was die ÖVP dabei verschwieg und wir heute erkennen: Der Staat sollte wie ein Unternehmen in den Bankrott geführt werden. Das überflüssige Kapital sucht schließlich Anlagemöglichkeiten.
Merksatz: Den Schulden auf der einen Seite, stehen immer die Gewinne auf der anderen Seite gegenüber.
Wir erlebten dubiose Eurofighterkäufe und Privatisierungen wie die der BUWOG, die ebenfalls unter den Teppich des kapitalistischen Rechtsstaats gekehrt werden werden.
Merksatz: Erfolgreiche Politik kann nicht an ihren Ergebnissen gemessen werden, sondern nur daran, wem diese Ergebnisse nützen.
Die Innenministerin führt seit Monaten vor, wie ohne ernst zunehmenden zivilen Widerstand, Zustände eskaliert werden können. Unter Zuhilfenahme von 1.500 Cops werden 19 Punx delogiert. Gegen Refugee-Aktivisten* wird ein jahrelanges Strafverfahren wegen Fluchthilfe eingeleitet, an dessen Ende nicht festgestellt werden konnte, wer die Begünstigten dieser Fluchthilfe waren. Somit konnte nicht mal eruiert werden, ob diese Begünstigten eine „Erlaubnis“ zum Überschreiten von Grenzen und zur Durchreise hatten, ob es sich überhaupt um Fluchthilfe handelte! Wen schert’s? Um Peanuts wie hausbesetzende Punx oder politisierende Refugees kümmert sich die selbst ernannte politische Mitte nicht. Sie übt sich in Nächstenliebe und sonntäglichen Fürbitten, auch zu Weihnachten, und erwartet dafür keinen Dank. Nur Demut und devotes Verhalten.
Seit dem Frühjahr wird wieder eskaliert. Mit einer öffentlich erklärten Strategie, die in ganz Europa zur Anwendung gebracht wird, die Strategie der Abschreckung. Die Zustände für Refugees sollen so mies werden, dass niemand nach London, Wien, Paris oder Genf flüchten mag, sondern lieber nach Bagdad, Tripolis oder Mogadischu. Hunger, Obdachlosigkeit, Gefangennahmen sind die Methoden. Wer sich beschwert bekommt Strafpunkte und muss strafverschärft im Freien schlafen.
Wer eskalieren möchte, bedient sich einer drastischen Wortwahl. Wer eskalieren möchte, braucht Katastrophen, die drastische, unausweichliche Maßnahmen erfordern. Naomi Klein beschrieb diese Politik als Shock Doctrine. Neocons* geht es nie um Lösungen, die Verbesserungen bedeuten sollen, sondern im Sinne von Schumpeter und Hayek um totale Destruktion.
Amnesty International lebt offensichtlich noch in einer Zeit, als „bürgerliche Werte“ noch von Bürlichen* gelebt wurden.
„Die Situation war monatelang vorhersehbar, sie hätte aufgefangen werden können“, so Patzelt. Zwar sei der Andrang nach Europa tatsächlich groß, „aber das ist eine Managementaufgabe, die zu lösen ist, wenn man will“, sagt der österreichische Amnesty Generalsekretär.
An dieser Stelle die Erinnerung: Wer wollte den Staat wie ein Unternehmen führen?
Wie reagieren Unternehmen auf unfähige Manager_innen, die zudem nicht wollen?
Die Frage ergibt nur in dem Kontext mit der Frage nach den Nutznießer_innen Sinn. Wir erleben soeben ein inszeniertes xeno-rassistisches (pdf) Spektakel, das den Staat als Transportvehikel benutzt. Refugees spielen in dieser perfiden Show nicht einmal die Rolle von Statist_innen. Statist_innen haben wenigstens Namen und Gesicht, eine Geschichte und eine Perspektive.
Cui bono? Wem nützt dieses entwürdigende Schauspiel wirklich.
Die Antworten sprengen den Rahmen dieses Formats. Vorgebliches Politikversagen ist seit Beginn der Finanzkrise 2007 zum erfolgreichen integralen Bestandteil neoliberaler Politik geworden. Niemand fragt, warum weder die Finanzkrise noch die zahlreichen anderen Krisen nach bald zehn Jahren gelöst werden konnten. Niemand mehr glaubt ernsthaft, dass Wahlen etwas ändern. Die Handlungsfähigkeit wird freiwillig auf den Bereich des Privaten limitiert. Die Einsicht in die Aussichtlosigkeit gesellschaftsverändernder Aktionen ist ebenfalls Teil neoliberaler Politik.
Wie korporative finanzielle Debakel, die uns als systemrelevant verklickert werden, sozialisiert werden konnten, so können auch alle anderen Krisen individualisiert werden. Arbeitslosigkeit, Krankheit, Armut, Einsamkeit, sexualisierte Gewalt werden als persönliches Schicksal abgehandelt und können nicht so einfach als Folgen geschaffener politischer Rahmenbedingungen identifiziert werden. Tote durch Hitze, Trockenheit und Luftbelastungen werden der körperlichen Verfasstheit, erblicher Veranlagung oder einem „schlechten“ persönlichen Lebensstil zugeschrieben.
Hat irgendwer in den letzten Wochen Autofahrverbot gesagt? Forderte irgendwer Einschränkungen für die Industrie? Die Messwerte für Ozon, Stickoxide und Feinstaub überschreiten bereits Mitte August in manchen Orten Österreichs die Jahreswerte des Vorjahres. Hat irgendwer gegen die Schließung der Schuldnerberatung in Villach protestiert? Welchen Widerstand rief die Streichung des Bundeszuschuss‘ für die AIDS-Hilfe in einigen Bundesländern hervor? Und wie stellen wir einen direkten Zusammenhang mit dem Hypo-Desaster und der Steuerbegünstigung unbesteuerter arbeitsloser Einkommen durch reiche Erbschaften her?
Die von Freedom not Frontex berichteten Suizide in Traiskirchen sind in dieser Logik nicht die Konsequenz traumatisierender Zustände, sondern bedingt durch persönliche, selbstverschuldete Umstände oder, aus dem Blickwinkel biologistischer Fanatiker_innen, genetische Dispositionen, die in keinem Zusammenhang mit der menschenverachtenden Politik dieses Landes stehen. Rassistisch motivierte Polizeigewalt steht in keinem Zusammenhang mit der Politik der Ausgrenzung, der Minorisierung, Kriminalisierung abweichender oder in ihrem Sinne „gescheiterter“ Lebensentwürfe. Geheimdienstliche Überwachung dient der persönlichen Sicherheit von absolut gesetzestreuen Bürger_innen und definiert nicht vorbehaltslos alle als staatsfeindliches Subjekt. Die Liste könnte fortgeführt werden. Erschreckend endlos.
Kein Ende in Sicht.
Merksatz: Getroffen werden am Beginn Einzelne, gemeint sind wir alle.
Update:
Im Dezember 2000 wurde von der Europäischen Union die Einrichtung Datenbank beschlossen, die biometrische Daten von Refugees erfassen sollte. 2012 wurde der Zugriff aus diese Daten gelockert.
„Als „Eurodac“ geschaffen wurde, hieß es, die Fingerabdruck-Datei diene allein dazu, festzustellen, welcher EU-Staat für ein Asylgesuch zuständig sei. Nun akzeptiert der Innenausschuss des EU-Parlaments, dass die Daten künftig auch für Polizeibehörden zur Verfügung stehen. Das Recht der Betroffenen auf informationelle Selbstbestimmung wird weiter eingeschränkt – und sie werden als potentielle Straftäter stigmatisiert.“ http://www.proasyl.de/de/news/detail/news/europaeische_polizeibehoerden_sichern_sich_zugriff_auf_eurodac_daten/
2015 wird in den EU-Mitgliedsstaaten Ungarn und Spanien die Erfassung biometrischer Daten auf alle ausgedehnt:
Das ungarische Innenministerium will bis Jänner 2016 die biometrischen Daten von zehn Millionen Staatsbürger_innen in einer eigenen Datenbank speichern. http://orf.at/stories/2295622/
In Spanien wurde an den Flughäfen von Madrid, Barcelona, Girona, Palma de Mallorca, Alicante, Tenerife Sur und Málaga und im Seehafen Algeciras ein Automatisches Grenzkontrollsystem (Automatic Border Control, ABC) eingerichtet, das die biometrischen Daten aller Reisenden scannt und mit vorhandenen Daten abgleicht.
Dem ging ein EU-finanziertes Pilotprojekt am Flughafen von Málaga voraus. http://cincodias.com/cincodias/2015/08/17/empresas/1439809103_970235.html
Links:
Das ist ein Pseudo-Notstand, es geht um ein Nicht-Wollen http://derstandard.at/2000020747346/Amnesty-zu-Traiskirchen-Das-ist-ein-Pseudo-Notstand-es-geht
Österreich verletzt fast alle Menschenrechtskonventionen http://derstandard.at/2000020722311/Amnesty-praesentiert-Bericht-ueber-Traiskirchen
Austria refugee camp branded ’shameful‘ by Amnesty International http://www.bbc.com/news/world-europe-33940654
Amnesty International: Migrant Rights in Austria violated http://www.nytimes.com/aponline/2015/08/14/world/europe/ap-eu-austria-migrants.html?_r=0
Ein Research Team von Amnesty International Österreich hat am 6. August die Bundesbetreuungsstelle für Flüchtlinge in Traiskirchen besucht. Die dabei gesammelten Fakten zeigen das „selbst verschuldete Systemversagen“. Hier der Bericht: https://www.amnesty.at/de/traiskirchen-bericht/
Traiskirchen Symptom systematischer Mängel im Umgang mit Asylwerbern https://www.amnesty.at/de/traiskirchen-pa2/
Demobericht der Autonomen Antifa Wien in Traiskirchen http://autonome-antifa.net/index.php/2015/07/27/demonstration-fuer-die-rechte-von-gefluechteten-in-traiskirchen
Bericht der Zentralanstal für Metereologie, Wien: Hitzewellen: 2015 eines der extremsten Jahre der Messgeschichte http://www.zamg.ac.at/cms/de/klima/news/hitzewellen-2015-eines-der-extremsten-jahre-der-messgeschichte
Zur Kenntnis der Scoliidae (Hymenoptera) Österreichs. Mit Bestimmungsschlüssel für das Freiland, ebenso wie Angaben
zur Phänologie und Biologie. (pdf): http://www.nhm-wien.ac.at/jart/prj3/nhm/data/uploads/mitarbeiter_dokumente/zettel/221.pdf
Borstige Dolchwespe https://de.wikipedia.org/wiki/Borstige_Dolchwespe
Zur Privatisierung von Wasser bzw. der staatlichen griechischen Strom- und Wasserversorgung, die als Auflage der Troika von einer „linken“ Syriza-Regierung umgesetzt werden muss, ein Blogpost aus 2012 https://www.uebersmeer.org/2012/ebi-stellt-sich-gegen-die-wasserwalze/