Mit dem Ende der Besetzung der Votivkirche durch die Wiener Refugees wurde ein symbolischer Ort aufgegeben. Die Proteste sollen ungeachtet der Überstellung in ein von Mitgliedern der katholischen Kirche betriebenes Kloster weitergehen, sagen die Refugees.
Der Schritt der Refugees kommt für teilnehmende Beobachter_innen nicht wirklich überraschend.Vor einer Woche wurde der Hungerstreik beendet. Vor drei Wochen stürmte eine rechtsextreme Horde die besetzte Kirche. Dazu kommt die undurchsichtige Rolle der Caritas, die extrem hilflos zwischen christlicher Wohltätigkeit und realpolitischer Wohlgefälligkeit herum manövrierte und gegenüber feindseligen politischen Gegner_innen, dem unversöhnlichen Staatsapparat und Sympathisant_innen aus allen möglichen Lagern ihre Alleinvertretungs-Rolle verteidigen, erklären, rechtfertigen und vor allem behaupten musste.
Die Wiener Refugees artikulieren ihren Protest
Die Ausgangslage war schwierig. Die Kenntnislage ’normaler‘ Menschen über das staatlich und privat „verwaltete“ Flüchtlingswesen zeichnet sich durch extreme Falschinformationen, politisch motivierte Verzerrungen und einer hoch entwickelten Ignoranz über die – auch von Europa mitverursachten – Situation in den Herkunftsländern der Flüchtlinge aus.
Der Marsch der Refugees von Traiskirchen nach Wien war eine geniale Überrumpelungsaktion. Die Niederlassung der Refugees im Sigmund Freud-Park ließ den Medien und dem Innenministerium erkennbar den Mund offen stehen.
Die Öffentlichkeit wurde erreicht, gegen die Abwehrfront der Medienoligopole kam man aber nicht an.
Das wurde auch nicht anders erwartet. Überraschend war für einige die Linie des Standard, der die größere Gefährdung nicht für deportationsgefährdete Refugees sah, sondern die Institution der katholischen Kirche in ärgster Bedrängnis wähnte.
Eine überaus geschickte und engagierte Refugee-Öffentlichkeitsarbeit fand bislang leider kein Gegenstück in erfolgreicher praktischer politischer Ausformulierung der Taktiken und Umsetzungsmöglichkeiten.
Auf der Seite der Zivilgesellschaft überraschte, dass auch angesichts der selbstermächtigenden Proteste, die Impulse nicht ausreichten, um aus dem selbst gewählten Hirnkoma aufzuwachen.
Nach der Räumung des Refugee Camps demonstrierte zwar spontan eine bunte, empörte, aber doch zuversichtliche Menschenmenge trotz widriger Wetterbedingungen und der weihnachtlichen Lethargie. Junge, aber auch viele alte Menschen, Familien mit Kindern äußerten ihren Unmut über die völlig überzogene und fadenscheinige Repression des Staatsapparats. An diesen vorläufigen Erfolg in der Breite der Solidarität konnte keine Kundgebung mehr anschließen.
Realitätsverweigerung und archaische Gesetze
Es gelang noch nicht, potenzielle Akteur_innen von der brisanten Dimension des Refugee-Protests zu überzeugen.
Zur Debatte stand, und steht nach wie vor, die Einsicht in heutige, globalisierte Realitäten. Zur Diskussion steht, ob ein Europa blaß und einfältig sein muss, ob wir ein Staatsbürger_innenschaftsrecht wollen, dass auf einer obskuren Idee von Blutsverwandtschaften gegründet ist, ob wir für die Umweltfolgen einer kapitalistischen Wirtschaftsunordnung einstehen wollen. Wir müssen uns ernsthaft fragen, ob wir immer noch Politiken einer kolonialen Menschenbildproduktion weiter denken wollen, die Eurpäer_innen wegen ihrer überlegenen Werte (zwei Weltkriege) überhöht. Und ob wir einen Krieg gegen Terror mittragen wollen, der wie immer ein Krieg gegen die Bevölkerungen ist. Wir sollten uns im Klaren sein, dass in Pakistan, der arabischen Halbinsel, Ostafrika und seit kurzem auch in Nordwestafrika, von uns weitgehend ignorierte militärische Drohnen-Freiluftübungen mit scharfer Munition und lebendigen Zielen stattfinden, die, jetzt technologisch ausgereift, auch in den USA und in Europa von Militärs und Polizei eingesetzt werden möchten.
Die USA sehen sich mittlerweile außerstande einen unerklärten militärischen Krieg gegen Migrant_innen gewinnen zu können. Die Absurdität, Nachbar_innen und Arbeitskolleg_innen zu haben, die auf Grund biblischer Vorstellungen von Gesetzesproduktion, nicht wirklich wirklich sein dürfen, kann nicht länger aufrecht erhalten werden. Ähnliche Diskurse finden derzeit auch in Italien statt. Pier Luigi Bersani stellte unmissverständlich fest – und steht damit im Gegensatz zum Krawallkomiker Beppe Grillo -, dass Kinder von Migrant_innen automatisch, also ohne diskriminierende Antragstellung, die Staatsbürger_innenschaft erhalten müssen.
Keine Lösung ist keine Lösung
Es gibt für keine der mit den Protesten aufgeworfenen Fragen den Versuch einer politischen Antwort. Für keine der von den Refugees erhobenen und berechtigten Forderungen gibt es auch nur ansatzweise die Suche nach einer politischen Lösung.
Politisches Unvermögen oder der politische Unwillen dürfen in einer Demokratie keine hinreichende Begründung für den Einsatz polizeistaatlicher Mittel und paramilitärischer Einsätze darstellen.
Realitätsverweigerung ist keine Lösung, kann nicht der Massstab politischen Handelns sein, raubt unsere Zukunft und den sozialen Frieden.
Deshalb: Danke an euch Refugees, dass ihr einen Kampf für euch führt, der auch ein Kampf für uns ist.
We demand our rights.
No border, no nation, stop deportation.
Expect us, the protests will continue.
Link
Die gestrige Pressekonferenz der Refugee-Aktivist_innen zum Nachhören: http://cba.fro.at/106888