Aus Anlass der Räumung der Landbesetzung der SoliLa.
„Aber wie eine Zeit gekommen war, wo die Menschen die schlimmen Folgen der Leibeigenschaft erkannten und an der Gerechtigkeit und Notwendigkeit der Gesetze, die diese Institutionen erhielten, zu zweifeln begannen, ebenso muss man auch jetzt, wo die schlimmen Folgen der jetzigen wirtschaftlichen Ordnung offenbar werden, unwillkürlich an der Gerechtigkeit und Notwendigkeit der Gesetze zweifeln, die diese Folgen gezeitigt haben: der Gesetze über den Boden, die Steuern und das Eigentum.“ Leo Tolstoi
Dieser Zweifel muss überall gestreut werden, egal ob die vermeintlichen Besitzer_innen von Grund und Boden bzw. ihre Vertreter_innen Erb-Adelige, Arbeiter_innen-Adelige oder Bobo-Adelige sind.
Die Wiener Sozialdemokratie kann in der Durchsetzung von Besitzer_innen-Interessen auf eine lange Tradition zurückgreifen. Bereits in den 1920er-Jahren wurden Landbesetzer_innen (Stichwort: Wiener Siedler_innenbewegung) erfolgreich kanalisiert und bürokratisiert.
Die junge Sozialdemokratie konnte sich damals gut auf Karl Marx berufen: „Das Land an assozierte Landarbeiter_innen zu übergeben, würde heißen, die ganze Gesellschaft einer besonderen Klasse von Produzent_innen auszuliefern.“ Marx plädierte deshalb für eine Nationalisierung von Grund und Boden. Wie sich diese Nationalisierung im Hinblick auf das Konstrukt der Nation und den ursächlichen Zusammenhang mit gewaltsamen Grenzziehungen und willkürlichen Besitznahmen von Grund und Boden umsetzen lassen soll, lässt Marx unbeantwortet.
Hinter den sozialdemokratischen Politiken steht der Glaube an die Quasi-Natürlichkeit der Verteilung von Grund und Boden, an einen fürsorgenden, patriarchalen Staat, und der fatale Irrglaube, dass die Besetzung demokratischer Funktionen eine faktische gesellschaftliche Macht und Ganz(Teil-)habe begründen. Tatsächlich wurde die Verteilung von Grund und Boden oder von Produktionsfaktoren erstaunlicherweise nie ernsthaft in Frage gestellt. Selbst die Ländereien der kriegstreiberischen Habsburger_innen gingen nur in Form einer Rechtsnachfolge an die 1. Republik. Der Rest dieser feudalen Herrschaft aus Adel und Kirche lebt und besitzt und herrscht bis zum heutigen Tage. Und so verwundert es auch nicht, dass in diesem Land Vermögenssteuern in „Vergessenheit“ gerieten und die Aufhebung von Erbschaftssteuern per Verfassungsgerichtsurteil betrieben wurde.
Das ist gerade auch deshalb erstaunlich, weil demokratische Verfassungen Gewalt durch Recht ersetzen und die Gleichheit aller Menschen festschreiben. Sie negieren die Landfrage, das Landeigentum, nach der Historikerin* Amelie Lanier „die erste Form des Eigentums, die gewaltmäßig eingerichtet wurde und aufrechterhalten wird“. Landeigentum verspottet die Gleichheit aller Menschen, da sie die „Menschheit in Arme und Reiche scheidet: Ein Teil der Menschheit bemächtigt sich der Erde und schließt die anderen davon aus. Letztere, die Landlosen und daher Besitzlosen können das Land nicht mehr bestellen, um sich davon zu ernähren, und sie müssen sogar den anderen ein Entgelt dafür entrichten, ein Dach über dem Kopf zu haben und sich nachts irgendwo ungestört zur Ruhe legen zu können“ (Amelie Lanier).
Zur Frage der Landverteilung stolpert man an allen möglichen Stellen über Gedachtes und Geschriebenes. Bei Silvio Gesell beispielsweise, der in Zeiten der Krise durch seine Arbeiten zu Tauschwährungen wieder entdeckt wurde (und dessen antisemitische Äußerungen meist unerwähnt bleiben).
Gesell schlug vor, Grundbesitzer_innen in einem festgelegten Verfahren zu enteignen und mit verzinsten Staatspapieren in der Höhe des Pachtzinses zu entschädigen. Die bisherigen Besitzer_innen würden dadurch finanziell nicht geschädigt werden, dem Staat entstünden keine Kosten, da mit den Zinszahlungen allmählich die Schulden getilgt würden.
Dass ein Enteignungsverfahren mit Blick auf die Geschichte der Landnahmen gerechtfertigt und nur allzu gerecht wäre, beschrieb in den 1930er-Jahren Bertrand Russell:
„Wenn man die Geschichte seines* [der Besitzer_innen] Anrechts nach rückwärts verfolgt, kommt man schließlich auf einen Mann*, der* das Land sich gewaltsam aneignete – sei es die Willkür eines Königs*, ausgeübt zugunsten eines Höflings*, sei es Eroberung großen Stils, wie die der Sachsen* und Normannen*. Zwischen derartigen Gewaltakten wird die Macht des Staates dazu gebraucht, das Eigentum dem Gesetz entsprechend zu garantieren. Und Eigentum an Boden bedeutet Macht zu entscheiden, wem der Zutritt zum Boden gestattet werden soll.“
Leo Tolstoi erkennt in dem Schutz , den der Staat dem Eigentum gewährt, den Grund für einen „immerwährenden Kampf um Boden“, und er führt weiter aus: „Die jetzt angewandte Beschützung des ungerechten Eigentums durch Gewalt hat in den Menschen das natürliche (sic) Gefühl der Gerechtigkeit gegenüber der Benutzung von Gegenständen, wenn nicht vollständig vernichtet, so doch bedeutend geschwächt […].
Was tun?
„Nur die Gegenwart ist wirklich, und was die Menschen nicht jetzt tun, nicht sofort zu beginnen, das tun sie in alle Ewigkeit nicht.“ (Gustav Landauer) Oder wie Lenin schrieb: „Geht und nehmet euch das Land“.
Wir aber treten auf der Stelle, einer Stelle, auf die von anderen Besitzansprüche erhoben werden, und stellen falsche Fragen.
Quellenangabe:
Alle Zitate stammen aus dem Buch Land und Freiheit, Zum Diskurs über das Eigentum an Grund und Boden in der Moderne, Herausgeber Gerhard Senft, Promedia Verlag, Wien 2013.
Lesetipp:
Hands off the Land, Land concentration, land grabbing and people’s struggles in Europe. A joint project of TNI, FIAN International, FIAN Netherlands, FIAN Germany, FIAN Austria, IGO in Poland and FDCL in Germany. http://fian.at/assets/Uploads/Land-in-Europe.pdf
Hands off the Land beschreibt die Geschichte des Land Grabbing (englisch). Der Österreich-Abschnitt blendet unverständlicherweise die Zeit zwischen 1918 und 1945 weitgehend aus; dabei stellt die vorrevolutionäre Phase am Ende des 1. Weltkriegs die radikalste Annäherung an Verteilungsfragen dar.
Ursprüngliche Akkumulation https://de.wikipedia.org/wiki/Urspr%C3%BCngliche_Akkumulation
Beat Weber/Petra Karlhuber – Ursprüngliche Akkumulation im Postfordismus http://www.grundrisse.net/grundrisse02/2akkumulation.htm
Link:
Webseite von Solila http://solila.blogsport.eu