Ubuntu Phone, ein Geschenk an die Datensammler*

Das bq AQUARIS 4.5 powered by ubuntu. Sympathisch: Die Schutzfolie des Displays als Short Manual.
Das bq AQUARIS 4.5 powered by ubuntu. Sympathisch: Die Schutzfolie des Displays als Short Manual.

[Update 2017/06/15: https://www.uebersmeer.org/2017/in-13-schritten-zu-einem-aktuellen-bq-aquaris-e4-5-ubuntu-touch/]

Jahrelanges Warten hat sich für mich nicht ausgezahlt. So viel vorweg.

Wer sich vom Ubuntu Phone eine Ansage gegen Bevormundung und für Freiheit und Privacy erwartet, wird herb enttäuscht. Wer allerdings ein Phone sucht, bei dem nichts falsch gemacht werden kann, ein Handy ohne komplizierte und tief verschachtelte Menüstrukturen, wird möglicherweise sehr gut bedient. Damit ist die Positiv-Liste fast schon fertig.

Beim ersten Start des Ubuntu Phones läuft für Ubuntu-Desktop-Erfahrene alles wie gewohnt. Sprache auswählen, eine WLan-Verbindung für Updates angeben, und dann startet das System ziemlich rasch. Eine optionale Geräteverschlüsselung, ein Must in Polizeistaatzeiten, wird bei der erstmaligen Einrichtung nicht erfragt. Was heißt hier Einrichtung? Das Ding ist softwaremäßig so simpel gehalten, dass nichts eingerichtet werden muss, oder aus einer anspruchsvolleren Perspektive: kann.

Wie von Unity vielleicht gewohnt, befindet sich auf der linken Seite eine Leiste mit Programmen: Telefonie und SMS und smartphonetypischen Tools wie Browser und Einstellungen. Der Hauptbildschirm wird standardmäßig vollgemüllt: Mit News-Schlagzeilen, trending Topics aus sozialen Medien, trending Fotos, Flickr, Instagram, Videos und Musik von blablabla. 170-Euro-Phone-Besitzer_innen werden mit dem Nearby-Feature zur Begrüßung alle erdenkbaren Konsummöglichkeiten in der Nähe des ermittelten Standorts präsentiert.
In Spanien, dem Land des Handyherstellers bq, wo jeden Tag Riot Cops Leute aus ihren Wohnungen werfen, scheint dieser Scope(?) verdammt fehl am Platz (Scopes sind angeblich das Alleinstellungsmerkmal des Ubuntu Phones. Was genau damit gemeint, fand ich bislang nicht heraus).

Ich deaktiviere diesen datenhungrigen Unsinn, der den ganzen Stolz der Ubuntu Touch-Entwickler_innen darstellt. Die Startseite glänzt nun weiß und präsentiert eine gähnende Leere, die mit keinem anderen Feature befüllt werden kann.
Anpassungsmöglichkeiten an individuelle Bedürfnisse wurden ins Ubuntu Phone keine implementiert. Wer an sinnentleertem Infotainmentschrott kein Interesse zeigt, hat nach Ubuntu-Logik präsumtiv gar keine Interessen. Auch kein Interesse an einem alternativen Browser.
Hier hat sich Ubuntu was Eigenes ohne eigenen Namen gebastelt. Der Ubuntu Touch-Browser verhält sich stringent zum Betriebssystem. Keine überbordenden Einstellmöglichkeiten, niemand wird mit nervigen Cookie-Einstellungen belastet, der Puffer, der ein Cache zu sein scheint, kann gelöscht werden und bleibt dennoch im Cache. Do-not-Track-Aufforderungen, Werbeblocker, Scriptblocker, Referrer deaktivieren, dafür SSL automatisch aktivieren,  kennt dieser grindige Browser wie zu Internet-Explorer-Zeiten nicht.

Addons?

Im Ubuntu-Apps-Shop fand ich zu aller erst, no joke, eine App für Bildblog. Ein Instant-Messaging-Client mit OpenPGP oder OTR-Support? Huch, es gibt Telegram, mit einer eigenen Verschlüsselung, die per proprietärer Serversoftware läuft.
Obwohl in der äußeren Form hübsch und durchdacht, scheint Ubuntu wieder einmal an der Realität zu scheitern. Niemand, der Linux möchte, wünscht sich ein verkapptes Windows. Wer den Wert persönlicher Daten falsch deutet, verschenkt sie lieber an Apple und Hacking Team

À propos. Ausnahmslos jede im Ubuntu Shop angebotene App erfordert für dessen Installation eine Registrierung.  Wer ohne Terminal auf einem Computer nicht auskommen mag: Her mit deinen Daten! Ein simple Stoppuhr? Bitte registrieren!

Jedes Cyanogenmod hat in der Grundausstattung einen Terminal, ermöglicht eine Nachinstallation von Open Source-Programmen per F-Droid ohne Registrierung abseits von Google Play. Ubuntu verzichtet hier auf einen der wesentlichsten Vorzüge von Linux: Wer in den Hauptrepositories nicht das Passende findet, fügt einfach weitere Softwarequellen hinzu. Das zur Zeit überschaubare Angebot an Apps mag der Neuheit des Systems geschuldet sein. Nach kurzem Stöbern durch das Gesamtangebot fällt auf, dass wenig bis nichts Brauchbares zur Installation angeboten wird. Kein alternativer Browser, wie bereits erwähnt kein XMPP Client, keine brauchbare Bildbearbeitung, keine E-Mail-App, die Verschlüsselung unterstützen würde, keine Firewall. Granulare Einstellmöglichkeiten der Berechtigungen fehlten bei den getesteten Apps ebenso.

Falsche Farben, fehlender Kontrast, keine Tiefenschärfe. Die Kamera des Ubuntu Phones enttäuscht.
Falsche Farben, fehlender Kontrast, keine Tiefenschärfe. Die Kamera des Ubuntu Phones enttäuscht.

Beim Ubuntu Phone würde ich gerne an der Usability basteln. Keine Anwendung kann aus der Anwendung heraus beendet werden. Das reine Wischgesten-Konzept erinnert stark an das von Maemo/Meego, ohne aber deren Vorzüge bis ins Detail zu übernehmen. Wenn andere Phones ständig den Wechsel zwischen Display und einer rudimentären Tastatur erfordern, führt Ubuntu diesen ärgerlichen Zwischenschritt direkt am Display ein (mehrfache Interaktion für einen simplen Vorgang).

Wozu bitte?

Eine Wischgeste zeigt alle derzeit aktiven Anwendungen. Nur in dieser Ansicht kann ich sie wegwischen, also beenden. Ein versäumter Anruf kann aus der Statusmeldung heraus zurückgerufen werden. Danach öffnet sich der Wählziffernblock ohne Namen, nur mit der Nummer. Erst ein weiteres Tippen auf das Hörersymbol leitet den Wählvorgang ein. Jede Entscheidung doppelt bestätigen zu müssen, scheint ein durchgängiges Konzept in der Bedienung des Ubuntu Phone zu sein. Ubuntu Phone-User_innen sind sich offensichtlich in ihren Absichten niemals ganz sicher. Andrerseits besitzen sie die respektable Fähigkeit, jederzeit eine Telefonnummer einem Kontakt zuordnen zu können.
Btw. die Features der Kontaktverwaltung erinnern an Zeiten analoger Telefonie.
Der Sound des Ubuntu Phone kommt so grottig ans Ohr wie der einer Karaokebar eines finnischen TaxFree-Besäufnisboots. Alles klingt irgendwie falsch und hohl. Diese Feststellung steht im Gegensatz zur guten Sprachqualität beim Telefonieren. An der verbauten Hardware scheint es also nicht zu liegen. Diesen Low Level der Sound-Wiedergabe unterbietet die Kamera spielend. Farben entsprechen eher einer Grauton-Palette. Schärfe, nur Jalapenos brauchen Schärfe! Eine Obscuracam per default.

Obwohl es wie jedes andere Handy aussieht, wird es von allen spontan als schön bezeichnet. Es wirkt sehr leicht und man* nimmt es gerne in die Hand, bei vielen Geräten auch keine Selbstverständlichkeit. Auch bei grellem Sonnenlicht ist das Display problemlos lesbar.

Die Rede ist hier immer von bq aquaris E45 powered by ubuntu. Mit Meizu erzeugt noch ein zweiter Hersteller Ubuntu Phones. Wer ein Meizu-Ubuntu Phone um den doppelten Preis des bq-Handys erwerben möchte, wird gezwungen, sich an einem Origami-Spiel auf der Meizu Homepage zu beteiligen. Nur Geldscheine rüber wachsen zu lassen reicht im Kapitalismus nicht mehr. Erfolgreiche Origami-Profis, die noch immer den Kaufen-Button drücken wollen, müssen sich nun einem Lotteriespiel aussetzen. Wer gezogen wird, hat zwar gewonnen, wird aber gleichzeitig durch den Kauf um € 300,- ärmer.
Wer das lustig findet: Diese Idee ist auf viele Konsum- und Lebensbereiche übertragbar. So könnten private Bahnen oder Paketzusteller_innen, Supermärkte und Privatkliniken, aber auch Staatsbürger_innenschaftsämter, aber lassen wir das.

Canonical, das Unternehmen, das hinter der Entwicklung von Ubuntu steht, hat mit Ubuntu Touch noch keinen großen Wurf gelandet.
In puncto Privacy und Sicherheit hinkt Ubuntu anderen mobilen Plattformen hinterher. Bei der Einrichtung des Phones entstand nicht nur bei mir der Eindruck, dass das Gerät „neugieriger“ wirkt als andere Mobiles. Manche Diensteanbieter_innen wie Facebook und Google wurden offensichtlich tief im System verankert, vermutete ein_e „Tester_in“. Bei deaktiviertem Standortzugriff der Uhr wird sie dysfunktional und verändert willkürlich Uhrzeit und Datum. Das gängige Konzept, eine als Smartphone getarnte Ausspäh-, Werbe- und Verkaufsplattform zu betreiben, wird von Ubuntu Touch nicht konterkariert, sondern ein Stück in der Spirale weiter gedreht. Die rudimentäre Software-Grundausstattung des Handys reduziert es aus Consumer_innen-Sicht im Grunde auf die reine Telefoniefunktion. Das App-Angebot fällt (derzeit) grosso modo in die Kategorien Skurilles und SchlechtProgrammiertes.

Diese Produktpolitik ist möglicherweise dem geplanten Börsegang von Canonical-Firmengründer Mark Shuttleworth geschuldet.  Allerdings verkündete Shuttleworth schon vor längerer Zeit, dass Ubuntu Touch eine Geräteverschlüsselung erhalten soll.

Bis es so weit ist, werden Ubuntu Phone-User_innen noch viele inferiore Bits und Bytes in den Datenbanken von Data Mining-Konzernen und Geheimdiensten speichern müssen.

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